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Zum 100. Geburtstag von Ernst Wimmer: Der Theoriefeindlichkeit den Kampf angesagt

Am 17. Juni wäre Ernst Wimmer, führender Intellektueller der KPÖ in den 1970er und 1980er Jahren, hundert Jahre alt geworden. Wimmer verantwortete und prägte in diesen Jahrzehnten die ideologische und propagandistische Tätigkeit der Partei, leitete bis zu seinem Tod das Theorieorgan „Weg und Ziel“, kümmerte sich um die Kulturpolitik, leitete die Historische Kommission beim ZK der KPÖ und hielt den Kontakt zu den kommunistischen StudentInnen.

Sein Arbeitspensum umfasste nicht nur die regelmäßige Belieferung der Publizistik der KPÖ, sondern auch zahlreiche Veröffentlichungen in internationalen Zeitschriften, die Referententätigkeit an fast allen Parteischulen, Kursen und Seminaren jener Jahre, sowie die Erarbeitung, Organisierung und Auswertung theoretischer Konferenzen, wobei er bei einigen auch die Hauptreferate hielt. Wimmers Persönlichkeit, seine mitreißende Rhetorik, seine Überzeugungskraft, die allerdings manchmal auch in Unduldsamkeit und Rechthaberei ausartete, verschaffte der KPÖ in jenen Jahren einen intellektuellen Anspruch, der durchaus nicht dem inneren Klima der KPÖ entsprach. Vielfach musste er gegen Theorie- und Intellektuellenfeindlichkeit in weiten Teilen der Partei ankämpfen, aber er gewann die Sympathie einer neuen Generation linker SchriftstellerInnen wie etwa Elfriede Jelinek, Marie-Thérèse Kerschbaumer, Peter Turrini, Michael Scharang und Helmut Zenker. Eine tiefe Freundschaft verband ihn auch mit dem Bildhauer Alfred Hrdlicka.

Ernst Wimmer wurde am 17. Juni 1924 in einem bürgerlich-liberalen Elternhaus in Horn in Niederösterreich geboren. Sein antifaschistischer Widerstand brachte dem Mittelschüler eine Verhaftung ein und führte zum Ausschluss von der Matura. Nach der Befreiung Österreichs trat Wimmer der KPÖ bei und begann als Journalist zunächst beim Dreiparteienorgan „Neuen Österreich“ und ab 1948 in der „Volksstimme“ im Ressort Außenpolitik zu arbeiten. Wegen Differenzen über die Politik des sowjetischen Parteichefs Chruschtschows und wegen Liebäugelns mit den Positionen des maoistischen China wurde Wimmer 1963 in die Kulturredaktion des Zentralorgans versetzt.

Im Gefolge des Einmarsches der Warschauer Paktstaaten in die Tschechoslowakei im August 1968, der die KPÖ in eine tiefe Krise stürzte, und nach der Ausschaltung des „präeurokommunistischen“ Parteiflügels, an der er nicht unwesentlich beteiligt war, gelangte Wimmer in führende Positionen der Partei: 1970 in das Zentralkomitee und 1974 in das Politische Büro. Doch er ließ sich nicht gänzlich in die beschränkte Weltsicht des damaligen Dogmatismus einordnen. Mehrmals machte er geltend, dass die Partei genügend GenossInnen habe, die in dieser Krise zwar „gestanden“ seien, die Partei aber Leute brauche, die „gehen“ könnten. Das machte die von ihm repräsentierte KPÖ für die Nach-68er-Studentenbewegung, aus der 1972 auch der Kommunistische Studentenverband hervorging, für Intellektuelle und Kulturschaffende anschlussfähig.

Ein unter Wimmers Federführung 1982 beschlossenes Programm der KPÖ „Sozialismus in Österreichs Farben“ spiegelte die widersprüchliche Orientierung jener Jahre. Die Anerkennung der Tatsache, dass sich auch der Sozialismus „nur durch die Entstehung und Lösung von Widersprüchen entwickeln“ könne, kontrastierte mit der angesichts des Kriegsrechts in Polen und der immer offensichtlicheren Stagnation des osteuropäischen Sozialismus grotesken Feststellung, dass in diesem „die immer aktivere, sachkundigere und bewusstere Teilnahme einer immer größeren Zahl von Menschen an Entscheidungen ihrer Lebensfragen“ als „Grundtendenz“ vorhanden sei.
In seinen letzten Artikeln in den Monaten des Umbruchs und Zusammenbruchs des Sozialismus in Osteuropas – schon nicht mehr in einer führenden Position in der Parteiführung – stellte Wimmer vieler seiner Annahmen, Hoffnungen und Projektionen, aber auch viele der von ihm verteidigten Dogmen des „Marxismus-Leninismus“ auf den Prüfstand. Sein selbstkritisches Urteil darüber bleibt sein Vermächtnis. Ernst Wimmer starb am 27.Oktober 1991 an Leukämie.

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