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1. Mai: Geschichte des Internationalen Kampftags

1. Mai 1957 in Wien vor dem Parlament
1. Mai 1957 in Wien vor dem Parlament

Im katholischen Österreich ist der 1. Mai der einzige Feiertag, der erkämpft wurde.

Im Juli 1889 beschloss die Gründungskonferenz der Zweiten Internationale in Paris, den 1. Mai zum internationalen Kampftag für den Achtstundentag zu erklären. Der Termin wurde aus Solidarität mit der amerikanischen ArbeiterInnenbewegung gewählt, nachdem am 1. Mai 1886 in Chicago ein Generalstreik begonnen hatte, der zu heftigen Ausschreitungen und Todesurteilen der amerikanischen Klassenjustiz führte. Auch in Wien fand am 1. Mai 1890 eine große Demonstration statt. Am Vormittag gab es insgesamt 60 Versammlungen, am Nachmittag zogen mehr als 100.000 ArbeiterInnen zur Maifeier in den Prater. Sonst fand hier am 1. Mai die traditionelle »Corsofahrt«, ein geschlossener Wagenzug der Aristokratie, statt. Diese musste nun aus Furcht vor den ArbeiterInnen ausfallen. Damit gelang es der ArbeiterInnenschaft von Beginn an, symbolisch öffentlichen Raum zu okkupieren, der sonst dem Bürgertum und Adel vorbehalten blieb. Einer der Teilnehmer dieser Kundgebung war der spätere Gründer der KPÖ Karl Steinhardt. Sie blieb ihm als »einer der größten Tage der österreichischen Arbeiterschaft« in Erinnerung, an dem »eine Bresche in die unzerstörbar scheinende Mauer des kapitalistischen Regimes geschlagen wurde«, wie er in seinen Erinnerungen festhielt.

Wurde zu Beginn noch von staatlicher Seite betont, dass die Arbeitsniederlegung am 1. Mai gesetzeswidrig sei, wurde er bis 1918 immer mehr zum arbeitsfreien Tag erklärt. Im April 1919 wurde der 1. Mai von der Nationalversammlung zum Feiertag erhoben. 1921 führte der traditionelle Maiaufmarsch der Sozialdemokratischen Partei erstmals über die Ringstraße vor das Wiener Rathaus. In den perfekt durchinszenierten Kundgebungen zeigte sich die organisatorische Stärke und Geschlossenheit der sozialdemokratischen ArbeiterInnenbewegung. Die kleine KPÖ wiederum hielt ihre Maikundgebungen in der Regel am Freiheitsplatz (heute Rooseveltplatz) vor der Votivkirche ab, woran sich eine Demonstration über die Ringstraße anschloss.

1. Mai in der Illegalität

Nach der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 untersagte die Dollfuß-Regierung sämtliche Maiaufmärsche. Der sozialdemokratische Parteivorstand rief infolge dessen zu »Massenspaziergängen« auf den Gehsteigen auf, während die KPÖ trotz des Verbots in einigen Wiener ArbeiterInnenbezirken politische Maikundgebungen organisierte. Auch in den Bundesländern gab es illegale kommunistische Maifeiern und Demonstrationen. In den Jahren des Austrofaschismus firmierte der 1. Mai als »Tag der Verfassung«, die ArbeiterInnenschaft blieb den von der Regierung inszenierten Umzügen aber fern.
In den Jahren der NS-Diktatur war der 1. Mai der »Tag der deutschen Arbeit«. Der internationale Kampftag wurde zum Fest der deutschen Volksgemeinschaft umgedeutet und zweckentfremdet. Illegale »Maifeiern« wurden in diesen Jahren auch in Gefängnissen und Zuchthäusern durchgeführt. So hielt etwa die später hingerichtete Hedy Urach am 1. Mai 1942 eine »Festansprache» durch das Klosett-»Telefon« im Gefängnis in der Wiener Schiffamtsgasse. Am Ende sangen die Häftlinge gemeinsam die Internationale.

Gescheiterte Einheit

1945 fanden am 1. Mai, wenige Tage nach der Befreiung Österreichs, bereits erste Maifeiern statt, die auf Wunsch der KPÖ in den meisten Wiener Bezirken gemeinsam mit der SPÖ und ÖVP ausgerichtet wurden. Der 1. Mai wurde in diesem Jahr auch wieder zum Staatsfeiertag erklärt. Angesichts des beginnenden Kalten Krieges war es jedoch mit der ArbeiterInneneinheit bald wieder vorbei: Ab 1946 folgten die großen Aufmärsche von SPÖ und KPÖ auf der Wiener Ringstraße getrennt voneinander. Ein Vorschlag der KPÖ an den Gewerkschaftsbund und die beiden anderen Parteien, weiterhin gemeinsame Kundgebungen abzuhalten, war von diesen abgelehnt worden.
Während in den folgenden Jahren bis zu 200.000 WienerInnen an der Maikundgebung der SPÖ teilnahmen, war die KPÖ in der Lage, immerhin mehrere Zehntausend Menschen zu mobilisieren. Neben den einzelnen Bezirksorganisationen und Vorfeldorganisationen marschierten auf der Ringstraße auch die Betriebsorganisationen der Partei auf, etwa die Straßenbahner und Feuerwehrleute, die Belegschaften großer Industriebetriebe oder am Ende des Zuges zu Hunderten die kommunistischen Polizeibediensteten.

Zwischen Ritual und Protest

Für die SPÖ ist der 1. Mai heute vor allem eine Selbstvergewisserung, dass es sie noch gibt. Ihr Maiaufmarsch ist ein gut eingespieltes Ritual: Den geordneten Zumärschen folgen die Ansprachen von SpitzenfunktionärInnen, deren aufgesetzte Klassenkampfrhetorik die unzufriedenen Teile der Mitgliedschaft bei Laune halten soll. In Zeiten von Individualisierung und Entsolidarisierung ist die Mobilisierungskraft der Wiener SPÖ dennoch als bemerkenswert hervorzuheben. Traditioneller Schlusspunkt ist das Absingen des »Lieds der Arbeit«, dessen Parole »Die Arbeit hoch« heute bei großen Teilen der Linken kaum auf uneingeschränkte Zustimmung stoßen wird. So findet etwa seit 2005 (mit Unterbrechungen) in Wien die »MayDay-Parade« statt, um prekäre Arbeitsverhältnisse zu thematisieren.

Auch im kommunistischen »Revolutionskalender« ist der 1. Mai nach wie vor ein fixer Bestandteil, die Inszenierung der KPÖ-Kundgebung unterscheidet sich aber merkbar von den Jahren vor 1990: Die Tribüne vor dem Parlament musste einem kleinem improvisierten Podium weichen. Als Veranstalter firmiert nunmehr als breites linkes Personenkomitee, was die Bereitschaft der Partei zur Kooperation mit allen Gruppierungen links der SPÖ unterstreicht. Auch in der Zusammensetzung der RednerInnen bei der Schlusskundgebung der »Alternativen 1. Mai-Demonstration« spiegeln sich die Vielfalt und der Internationalismus der Wiener Linken.

Nicht erst in den letzten Jahren wird den Kundgebungen zum 1. Mai Unzeitgemäßheit attestiert. Eine Kritik, die nicht zuletzt an der traditionellen Maisymbolik anknüpft, etwa in Gestalt von Abzeichen, Traditionsfahnen, Transparenten und roten Nelken. Selbst ein kritisches Hinterfragen der symbolischen Formen der ArbeiterInnenbewegung wird jedoch emotionale Identifikation nicht pauschal als negativ werten können. Relativiert wird die Kritik am 1. Mai nicht zuletzt im internationalen Maßstab: In Kolumbien etwa müssen GewerkschafterInnen an diesem Tag um ihr Leben fürchten, in der Türkei werden DemonstrantInnen von der Polizei verhaftet. Angesichts größer werdender Unterschiede zwischen Arm und Reich, der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und drohender Massenarbeitslosigkeit wird der 1. Mai auch in Zukunft eine Plattform des Kampfes um soziale Rechte und internationale Solidarität bleiben.

Dieser Beitrag von Manfred Mugrauer ist erstmals im Mai 2020 in der Volksstimme erschienen.

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