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Günther Hopfgartner: »KPÖ hat ihre Batterien aufgeladen«

Günther Hopfgartner, KPÖ-Vorsitzender und Spitzenkandidat bei den Europawahlen, im Interview mit Daniel Schukovits. Bei den Nationalratswahlen kandidiert Hopfgartner aus Listenplatz 9 der KPÖ.

Hinter uns als KPÖ und dir als Spitzenkandidat liegt ein intensiver und langer Wahlkampf für das Europaparlament. Was waren die Eindrücke, die du dabei gewonnen hast?

Günther Hopfgartner: Das Interessanteste war, wie dieser Wahlkampf in die Entwicklung der Partei eingegriffen hat. Ich bin jetzt 35 Jahre in der Partei. Mein Eindruck ist, dass wir noch nie so einen hohen Anteil an Mitgliedern involviert haben wie in diesem Wahlkampf. Sei es bei der Vorbereitung, auf der Straße, beim Plakatieren, Argumentieren, oder Verteilen. Der entscheidende Punkt ist: Im gemeinsamen Tun die Partei aufzubauen. Also nicht endlos zu diskutieren, sondern tatsächlich gemeinsam agieren und darüber natürlich auch reflektieren. So findet die Partei zusammen, so finden die Parteimitglieder und Aktivist:innen zu ihrer Rolle, und das ist im Wahlkampf passiert. Deswegen ist auch die Stimmung nach diesem Wahlkampf so extrem gut. Dass da tausend Leute diesen Wahlkampf in dieser Gemeinsamkeit und Intensität erlebt haben, hat tatsächlich die Voraussetzungen geschaffen für den Sprung in die bundesweite Relevanz. Das ist ein ganz wesentlicher Entwicklungsschritt für die KPÖ. In Wirklichkeit hat die Partei ihre Batterien aufgeladen.

Die KPÖ hat 3% oder 105.000 Stimmen erreicht. Das ist das beste Ergebnis seit 1962, und trotzdem hat es für den Einzug nicht gereicht. Welche Schlussfolgerungen zieht man aus so einem Ergebnis?

Günther Hopfgartner: Zum einen muss man sich überlegen, warum hat es nicht gereicht für den Einzug. Ein wesentlicher Teil unserer Wähler:innenschaft der letzten großen Erfolge, die wir in Salzburg, in Innsbruck oder in Graz gefeiert haben, ist aus dem Nichtwählerbereich gekommen. Und das war auch unser Ziel: Leute, die gar nichts mehr erwarten vom politischen System, weil ihre Interessen keine Rolle in der Politik spielen, einzubeziehen. Das ist bei der Europawahl weniger gelungen, weil die Leute das Gefühl haben, dass Brüssel halt sehr viel weiter weg ist von ihrer Lebensrealität. Das stimmt zwar so nicht, aber die Vermittlung davon ist wohl das Hauptproblem gewesen. Aber ich glaube, wir haben sehr viel Erfahrungen gemacht für weitere Wahlkämpfe.

Zweitens wurden es unter Anführungszeichen nur 3%. Diese 3% und diese hunderttausend Wähler:innen bedeuten, dass die KPÖ jetzt plötzlich auf einer Ebene ist, wo sie Relevanz gewinnt. Also wo die Partei wahrgenommen und auch ernst genommen wird. Menschen außerhalb der Partei haben zu mir gesagt, sie hätten die KPÖ gewählt, aber wären jetzt nicht enttäuscht. Ich glaube, diese Einschätzung hat sich auch bei uns in der Partei durchgesetzt. Vor allem deswegen, weil es bestimmte Detailergebnisse gibt, die sehr spannend sind.

Drittens gibt es auch in der Fläche in Österreich kaum einen Ort, wo wir Ergebnisse unter 1 % hatten. Also auch in Bundesländern, wo es kaum eine KPÖ gibt, haben wir eine entsprechende Anzahl von Wähler:innen. Und es gibt dabei ein paar herausragende Ergebnisse. In unseren Hochburgen wie Salzburg oder Graz haben wir zwar gute Ergebnisse eingefahren, aber da ist noch Luft nach oben bei den Nationalratswahlen. Und das ist für mich eher wieder ein positives Zeichen, da kann man darauf vertrauen, dass noch was geht. Spannend ist auch Wien, weil wir mit 4,7 % ganz klar in die Nähe des Gemeinderats gekommen sind. Da setzt sich auch der Trend fort, dass wir in den Landeshauptstädten tatsächlich sehr gut abschneiden. Dort kommen wir direkt in Kontakt mit den jungen Menschen und dort bestätigt sich die Politik, die wir gemeinsam entwickeln. Das ist viel schwieriger auf der Fläche, wo man kaum überall präsent sein  kann. Das wird eine Herausforderung. Aber in Wien haben wir stimmenmäßig in absoluten Zahlen Ergebnisse, wie wir sie früher bei Nationalratswahlen in ganz Österreich hatten. Was dann noch dazu kommt, ist, dass wir in Linz 4,7 % gemacht haben. Das ist besser als das letzte Gemeinderatsergebnis. In Städten wie Steyr, Wels oder Klagenfurt hätte das Ergebnis auch für den Einzug in den Gemeinderat gereicht. Daran kann man sehen, wie es uns tatsächlich gelingt, die KPÖ aufzubauen.

Klar ist: Wir sind ja da, um zu bleiben. Und es ist realistisch, was ich sage, dass man eine kommunistische Partei nur als Massenpartei aufbauen kann, die in der Gesellschaft stark verankert ist. Und nicht als irgendeine Sekte agieren, die intelligent versucht, Stimmen einzusammeln. Wir müssen die ganze Zeit präsent sein, die ganze Zeit in der Gesellschaft aktiv sein. Und das gelingt auch.

Auf der europäischen Ebene hat die neue EU-Kommission schon durchblicken lassen, ihre Klimaagenda zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit abzuschwächen. Auch die Kriegslogik rückt immer mehr in den Vordergrund, jetzt nach den Wahlen. Zugleich will man mit den Faschist:innen aus Italien kooperieren, jetzt aus dem sogenannten politischen Zentrum heraus. Wie soll sich die Linke in Europa in so einer Situation verhalten?

Günther Hopfgartner: Es gibt offensichtlich so etwas wie eine Medienwirklichkeit und daneben das reale Leben. Und wir haben das auch so erlebt im Wahlkampf. Wenn wir diese Kriegslogik angesprochen haben, hat es immer empörten Widerspruch in den Medien gegeben. Im realen Leben haben die Menschen aber durchaus gesehen, dass die Gefahr groß ist, dass das alles eskaliert. Und diese Militarisierung, die da stattfindet, wirkt sich natürlich auf das Leben der Menschen aus. Du hast es schon genannt, es war absehbar, dass es sich mit diesem Green Deal nicht ausgehen wird, wenn man das ganze Geld in Rüstung steckt. Es werden sich auch andere Sachen nicht ausgehen. Und es ist spannend, dass es jetzt gerade die Grünen sind, die diesen Paradig menwechsel vorantreiben. Von der Leyen exekutiert das natürlich nicht widerwillig, aber dieser Bellizismus der Grünen ruiniert ihnen den Green Deal, das ist eigentlich absurd. Und ich glaube, dass du auch ein zentrales Moment genannt hast: Also diese Kriegslogik verändert ja den gesamten gesellschaftlichen und politischen Diskurs. 

Das heißt, es gibt überhaupt keine andere Idee mehr, als Konflikte mit einem Sieg und einer Niederlage zu lösen. Es geht nicht mehr darum, diplomatische, friedliche Lösungen zu finden. Deswegen muss es für die Linke völlig klar sein: Man muss
diese Kriegslogik angreifen, muss dem eine Logik der Solidarität entgegenstellen. Für uns Kommunist:innen ist klar, dass unsere Fragestellung nie ist, auf welche Seite der Herrschenden wir uns stellen. Unsere Seite ist jene der Arbeiter:innenklasse, also der diversen Arbeiter:innenklasse vom Begriff her, in deren Interesse wir handeln. Dann
ist auch klar, dass der Krieg weder für die ukrainische, noch für die russische Arbeiter:innenklasse irgendwas bringen könnte. Die Frage des Friedens als Voraussetzung für alle anderen Kämpfe ist in Wirklichkeit zentral. Also muss sich die Linke gegen diese Kriegslogik stellen und muss eine Idee entwickeln von einer europäischen Sicherheitsarchitektur, die sich jenseits von militärischer Beherrschung orientiert. Da wäre der Kampf um ein atomwaffenfreies Europa ein möglicher Ansatzpunkt. Im Manifest der Europäischen Linken gab es auch die Idee einer Neuauflage der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; Anm.). Das wäre tatsächlich ein Ansatz, um den herum sich die Linke in Europa organisieren könnte.

Für die Rechte ist diese Kriegslogik Teil ihrer DNA. Also so wie die Solidarität in der DNA der Linken sein sollte, oder auch ist. Kriegslogik ist eigentlich in der DNA der Faschist:innen und ich glaube wir müssen auch damit aufhören, diese Leute als
rechtspopulistisch zu bezeichnen. Im Moment formiert sich da eine faschistische Internationale und wir sollten das auch so benennen. Dann wird klarer, dass es da nicht um Populismus geht, der halt irgendwie nur auf Abwegen ist. Es geht ihnen nie
um die Interessen des sogenannten kleinen Mannes, denn Parteien wie die FPÖ sind die Türsteher der Reichen. Und in dieser Funktion ist ihnen diese Kriegslogik in der Gewaltförmigkeit ihrer Aktivitäten eingeschrieben. Und das ist ein wesentlicher Punkt. Da geht es jetzt tatsächlich ums Eingemachte. Das Brechen mit der Kriegslogik ist für
uns ein zentraler Punkt.

Weil wir gerade über den Faschismus gesprochen haben: In Frankreich kooperiert gerade das gesamte linke Spektrum, um den Wahlsieg des rechtsextremen Rassemblement National zu verhindern. Auch in Österreich steht die FPÖ in Umfragen gerade auf Platz eins. Wie kann man den Wahlsieg der extremen Rechten in Österreich verhindern?

Ich glaube es gibt zwei Momente, die entscheidend sind. Ich bin natürlich für Massenmobilisierungen für das Gute und gegen das Böse. Es macht Sinn, wieder ein Lichtermeer zu organisieren, aber das dient eher zur Motivation der Guten. Und das sage ich jetzt gar nicht ironisch, sondern es macht auch Sinn zur Mobilisierung, aber es ist keine Politik gegen die Rechten. Die Liberalen setzen auf Symbolpolitik. Sie meinen zwar, gegen Rechts zu mobilisieren, aber übernehmen in Wirklichkeit ihre Politik, zum Beispiel in der Migrationsfrage. Was mittlerweile von den Grünen oder der SPÖ kommt, hätte sich teilweise nicht einmal Jörg Haider zu sagen getraut. Also da sieht man, wie die reale Politik sich verschiebt. Man braucht nur zu fragen, was die Grünen in der Migrationspolitik in der Regierung gemacht haben. So macht man jedenfalls keine Politik gegen die Rechten. Man kann Politik gegen die Rechten machen, wenn man auf einer diskursiven Ebene mit der Kriegslogik bricht und
dann ganz stark die Solidarität als das zentrale Moment der Gesellschaft begreift.
Die Perspektive muss eine solidarische Gesellschaft sein. Und da können die Rechten auf gar keinen Fall mit. Um Politik gegen Rechts zu entwickeln, muss man sich tatsächlich um die Menschen kümmern, die bisher nicht gehört werden. Menschen, die zu einem großen Teil in Wirklichkeit nicht einmal für die Rechten stimmen, sondern einfach gar nicht mehr zur Wahl gehen. Die werden auch kaum mobilisierbar sein gegen die Rechten, weil es ja für sie eh wurscht ist, weil sie wissen, dass niemand auf sie hört. Diese Menschen kann man nur mobilisieren, wenn du sie tatsächlich hörst, wenn du tatsächlich auf ihre Interessen eingehst und versuchst, sie in der Gesellschaft und auch in der Klasse mit ihren divergierenden Interessen miteinander in Beziehung zu setzten. Das ist die Aufgabe einer verbindenden Partei, so wie die KPÖ eine ist. Aber eigentlich wäre das insgesamt Aufgabe der Politik. Und nicht Klientelpolitik, die 50% der Gesellschaft einfach abhängt. Denn das ist es, was die Liberalen machen. In Wirklichkeit organisiert der Faschismus ja die Massen im Interesse der Herrschenden, im Interesse des Kapitals. Und da kommst du mit einer liberalen Politik eben nicht dagegen an. Darüber sollten die Liberalen nachdenken.

Jetzt geht die KPÖ geeint und mit einem klaren sozial- und demokratiepolitischen Fokus in die Nationalratswahl. Trotzdem wird die Konkurrenz durch andere neue Kandidaturen groß sein. Welche Strategie siehst du in so einer Situation angebracht?

Günther Hopfgartner: Ich glaube, dass sich die KPÖ nicht ausschließlich auf diesen Mediendiskurs einlassen darf. Da gilt es, das, was wir parteiintern machen, insgesamt auf die Gesellschaft umzulegen: Ins gemeinsame Tun kommen. Das heißt, wir müssen tatsächlich mit Menschen, mit Alleinerzieher:innen, mit Pensionist:innen, mit ausgegrenzten Migrant:innen, eine gemeinsame Praxis entwickeln. Und das ist der Unterschied zur Bierpartei, den Grünen oder der SPÖ. Die haben halt auch ein Politikkonzept, das ausschließlich auf Stellvertreterpolitik orientiert ist. Sie sagen: Wählt uns und wir werden es dann für euch richten. Und das ist genau das, was wir nicht machen. Deswegen habe ich da keine so große Angst vor dieser Konkurrenz, weil z. B. im Fall der Bierpartei muss man überhaupt erst rausfinden, was die programmatisch tatsächlich wollen. Das kann eine interessante Werbestrategie sein, aber keine politische Strategie. Mit der Mobilisierung von Nichtwähler:innen betreiben wir eine ganz andere Art von Politik. Wie du gesagt hast, haben wir einen demokratiepolitischen Fokus, also eine andere Art von Demokratie im Blick.

Das ist keine reine Wahldemokratie, wo man halt seine Stimme abgibt und schaut, hofft, dass in vier Jahren nichts passiert. Es geht darum, die Menschen einzubeziehen in die Politik, die in ihrem eigenen Interesse liegt. Und deswegen macht es uns stolz, dass wir aus dem Nichtwählerbereich so viele Stimmen bekommen. Weil das heißt in Wirklichkeit, dass wir Menschen, die sich nichts mehr erwarten, wieder in demokratische Prozesse einbeziehen. Und das ist demokratiepolitisch eine Großtat in Wirklichkeit.

Ein entscheidender Faktor ist offenbar, die Menschen direkt zu organisieren und ihre Interessen damit direkt in Aktivität zu bringen. Trotzdem haben die Medien einen großen Einfluss auf Wahlkämpfe und im Rahmen der EU-Wahl hat man gesehen, dass die KPÖ nur einen Bruchteil der Präsenz anderer Parteien bekommt. Wie bewertest du das und wie könnte man darauf reagieren als Partei?

Ich glaube, dass man den Medien gegenüber präziser arbeiten muss. Wir müssen entlang unserer Schwerpunkte kommunizieren und den Finger in die Wunde legen. Aber gleichzeitig ist es so, dass für uns kein Weg vorbei führt an einer verstärkten Präsenz auf der Straße und in den Betrieben. Also wir müssen stärker noch als bisher selbst kommunizieren. Es ist schon richtig, dass wir einen Bruchteil der Medienaufmerksamkeit anderer Parteien gehabt haben, aber es war schon eine andere Qualität als in früheren Wahlkämpfen. Ich denke, dass sich das im Nationalratswahlkampf auch noch verstärken wird. Es geht aber darum, mit den Menschen direkt zu reden und nicht ausschließlich über die Medien vermittelt. In den letzten Wochen wird sich die Medienaufmerksamkeit auf diese Zirkusspiele fokussieren. Also wo sich unsägliche Kandidaten gegenseitig anschreien und abwerten im Fernsehen, das ist auch eine Erfahrung aus dem EU-Wahlkampf. Die Kandidaten haben sich wirklich unfassbar benommen. Da nicht mitzumachen, kann schon auch eine Stärke von uns sein.

Wir müssen schon sehr bestimmt und konkret auftreten mit dem, was wir wollen, aber klar machen, es geht uns nicht um Selbstdarstellung, sondern tatsächlich um die Sache. Das wird man auch an unseren Kandidat:innen sehen, wie zum Beispiel
Bettina Prohaska. Als Intensivpflegerin spricht sie tatsächlich als Expertin des Alltags. Sie weiß, wovon sie spricht, was sie brauchen würde als Pflegerin und was die Gesundheitspolitik braucht. Wir müssen das in den Vordergrund stellen und keine
Selbstdarstellungstricks und NLP-Rhetorik.

Meine letzte Frage wäre: Mit welchem Ergebnis rechnest du für den 29. September? Womit kann man zufrieden sein als KPÖ?

Günther Hopfgartner: Zufrieden sein kann man mit allem über 4%. Und es ist auch eine Lehre aus dem EU-Wahlkampf, dass die 4%-Hürde für uns im Nationalratswahlkampf nicht unerreichbar ist. Trotz der weiteren Konkurrenz glaube ich, dass die Chancen bei der Nationalratswahl besser sind als bei der Europawahl. Ich bin relativ sicher, dass wir in den Nationalrat einziehen werden, was dann schon eine Zäsur für die österreichische Innenpolitik wäre. Das würde die Verhältnisse nicht nur im Nationalrat, sondern insgesamt in der österreichischen Politik verändern.

Dieser Beitrag ist erstmals in der Volksstimme, Nr. 7/2024 erschienen. Hier kann die Volksstimme abonniert und bestellt werden.

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