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Günther Hopfgartner: »Solidarität über die Konkurrenz stellen«

Günther Hopfgartner 2024
Günther Hopfgartner 2024

Die KPÖ ist eine verlässliche Stimme für Neutralität, für Frieden, für Soziales, für die öffentliche Daseinsvorsorge und für leistbares Wohnen – Günther Hopfgartner im Gespräch über die EU-Wahlen am 9. Juni. Die Fragen hat Jonas Kraft gestellt.

Hallo Günther! Fangen wir gleich an: Warum trittst du überhaupt an?

Günther Hopfgartner: Grundsätzlich trete ich an, weil die KPÖ antritt. Ich trete also für die KPÖ an und nicht so sehr für mich persönlich. Die KPÖ tritt an, weil wir der Meinung sind, dass es auch im EU-Parlament eine verlässliche Stimme für Neutralität, für Frieden, für Soziales, für die öffentliche Daseinsvorsorge und für leistbares Wohnen geben muss. Einer unserer Slogans lautet: »Damit man draußen weiß, was drinnen vorgeht«. Und das macht ja durchaus Sinn, weil 80% der Gesetzesmaterie, die im Nationalrat behandelt wird, basiert auf EU-Gesetzgebung. Das heißt, die EU nimmt Einfluss auf unser Leben.

Das Problem ist allerdings, weiten Teilen der Bevölkerung ist nicht klar, wie das tatsächlich funktioniert oder wie man tatsächlich auch politisch Einfluss auf alle diese undurchsichtigen Vorgänge nehmen kann. Üblicherweise gehen die politischen Verantwortlichen in den Parteien mit der EU so vor, dass sie ihre Ältesten ins Europaparlament abschieben, mittlerweile auch ganz Junge, aber jedenfalls abschieben. Und von denen hört man dann die nächsten fünf Jahre nichts mehr.
Währenddessen macht aber die österreichische Regierung natürlich sehr wohl Politik in der EU, beeinflusst die Politik der EU über den EU-Rat oder die EU-Kommissare. Sie winken da in Brüssel Gesetzesmaterien durch, von denen sie wissen, dass sie dafür in Österreich keine Mehrheit haben. Und gleichzeitig heißt es dann immer, daran wäre Brüssel schuld. Ich glaube, dass es an Abgeordneten fehlt, die in Österreich erzählen, was in Brüssel tatsächlich vor sich geht. Das wollen wir auf jeden Fall mal machen. Das ist in Wirklichkeit eine unserer wesentlichen Aufgaben.

Also damit man draußen weiß, was drinnen vorgeht, wollen wir die Sozialsprechstunden, mit denen die KPÖ durchaus Erfolg hatte, auch auf diese Ebene tragen. Wir wollen regelmäßig Versammlungen und Veranstaltungen in allen Bundesländern machen, wo wir erzählen, was drinnen vorgeht, was im Gefüge der EU tatsächlich vorgeht, was geplant ist. Und auch darüber informieren, wie man Druck machen kann, damit die Interessen der Menschen, die wir tatsächlich vertreten, auch auf der EU-Ebene Gehör finden.

Du siehst deine Funktion dort weniger als mitbestimmend in der EU, sondern mehr als wirklich repräsentativ und informativ für die Menschen in Österreich. Habe ich das richtig verstanden?

Günther Hopfgartner: Also ich glaube, ja. Natürlich wird man mitbestimmen, soweit es möglich ist. Aber ich wäre nur einer von 720 Abgeordneten. Da kann ein Abgeordneter der KPÖ natürlich nicht wesentlich Druck machen. Dazu kommt noch, dass das EU-Parlament, anders als nationale Parlamente, eher eingeschränkte Befugnisse hat – es kann keine Gesetzesvorschläge einbringen. Also ist es wichtig, dass man nach Österreich rückmeldet, was hier passiert. Aber es ist auch wichtig, dass man dem, was man in den Sprechstunden erfahren kann, auch eine Stimme gibt, selbst in Brüssel. Das heißt, es muss natürlich auch jemanden geben, der in Brüssel nervt und immer wieder darauf besteht, dass Sachen, die vorher zugesagt wurden, auch eingehalten werden. Ich glaube, das sind zwei wesentliche Funktionen, die wir tatsächlich ausüben können. Und deswegen kandidiert die KPÖ.

Wärst du dann die ganze Zeit in Brüssel? Wie geht sich das dann mit den Sozialsprechstunden aus?

Günther Hopfgartner: Man ist ja nicht die ganze Zeit in Brüssel, sondern an den Sitzungstagen. Außerdem hat man zum Beispiel in Österreich ein Abgeordnetenbüro mit Mitarbeiter:innen. Wir werden ein frei zugängliches Büro aufmachen, wo man sich über die EU informieren kann, wo man aber gleichzeitig seine Sorgen, Ängste und Nöte in Bezug auf die EU loswerden kann und das dann auch tatsächlich an einen Abgeordneten weitergeben kann. Das wird ganz sicher ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein und wir werden uns nicht in Brüssel verstecken, so wie es viele Abgeordnete machen. Wir werden auch sehr viel in Österreich unterwegs und präsent sein.

Und ich nehme an, die von der KPÖ beschlossene Gehaltsobergrenze für alle gewählten Positionen wird für dich auch gelten.

Günther Hopfgartner: Selbstverständlich. Das gilt für alle Mandatar:innen der KPÖ, egal auf welcher Ebene. Natürlich für das EU-Parlament ganz genauso.

Wie siehst du die KPÖ in die Europäische Linke (EL) eingebunden? Was kann man da machen?

Günther Hopfgartner: Die KPÖ ist ja Gründungsmitglied der Europäischen Linkspartei, deren Vorsitzender jetzt der ehemalige Parteivorsitzende der KPÖ, Walter Baier, ist. Ich war jahrelang beim Gründungsprozess der EL beteiligt und lange Zeit im Vorstand. Wir sind da schon sehr eingebunden in die EL. Wobei, was wir mit dem tun, ist wieder eine eigene Frage. Ich sehe den merklichen Aufstieg der KPÖ in den letzten Jahren darin begründet, dass wir weggekommen sind vom Mit- und Übereinanderreden, zum gemeinsamen Tun. Und ich glaube, das wäre da eine wesentliche Aufgabe von uns im Rahmen der EL. Die KPÖ wäre dann Teil der Fraktion der GUE/NGL, also der linken Parlamentsfraktion, die noch breiter ist als die EL.

Unsere Aufgabe in der Linken wäre es natürlich, dafür zu sorgen, dass die EL gemeinsame Projekte findet, ins gemeinsame Tun kommt und nicht nur gemeinsame Papiere verfasst, was auch wichtig ist, aber nur der Anfang. Wir müssen dahin kommen, dass die Menschen die EL als aktives Projekt, das in ihrem Interesse agiert und organisiert, wahrnehmen.

Hast du schon ein paar Ideen oder Vorschläge für solche konkreten Projekte?

Günther Hopfgartner: Es gibt schon mehrere Projekte, ein wesentliches Thema ist etwa das leistbare Wohnen. Interessanterweise stehen fast alle Länder vor ähnlichen Problemen und es gibt transnationale Prozesse, die diese Krisen weiter befeuern. Zum Beispiel die Tatsache, dass riesige europäische Konzerne Unmengen an Wohnraum aufkaufen. Wenn man über leistbares Wohnen redet und über die Bewältigung der Housing-Krise, dann gibt es eine transnationale europäische Komponente.

Ich glaube, es wäre eine Aufgabe der EL, diese Auseinandersetzung zu organisieren. Beim Wohnen kann man diese typische Zweischneidigkeit der europäischen Integration sehr gut sehen. Auf der einen Seite ist Wohnen in der EU-Grundrechtecharta verankert. Andererseits sind diese Grundrechte aber nicht vor dem Europäischen Gerichtshof einklagbar. Wohl aber kann ein Wohnkonzern, der der Meinung ist, dass das Wettbewerbsrecht durch eine Maßnahme einer Regierung verletzt wurde, zum EUGH gehen und somit eigentlich die Grundrechte aushebeln.
Die Tatsache, dass Grundrechte zwar sehr schön in einem Papier stehen, aber nicht einklagbar sind, die Wettbewerbsrechte aber sehr wohl einklagbar sind, schafft natürlich ein extremes Gefälle. Und das ist auch eine Aufgabe der EL, hier auf der EU-Ebene dafür Druck zu machen, dass das zumindest gleichgestellt wird.

Wohnen ist jetzt das Thema, mit dem die KPÖ in letzter Zeit die großen Erfolge geschafft hat. Was siehst du noch für Themen, die auf EU-Ebene relevant wären?

Günther Hopfgartner: Für uns ist natürlich die Frage von Krieg und Frieden und in dem Zusammenhang die aktive Neutralitätspolitik, ein wesentlicher Faktor. Dazu hatten wir vor Kurzem eine Konferenz in Wien, über die Frage, welche Rolle eine aktive Neutralitätspolitik für europäische Friedenspolitik spielen kann. Da ist es uns gelungen, Linksparteien aus allen immer noch neutralen oder blockfreien Staaten nach Wien zu bekommen, also aus Irland, Malta, Zypern, und Österreich. Dort haben wir beraten, wie aktive Neutralitätspolitik tatsächlich auch innerhalb der EU ein Anker für eine europäische Friedensordnung sein könnte. Das ist für uns ein wesentlicher Faktor, auch deswegen, weil wir uns da mit einer absoluten Mehrheit der österreichischen Bevölkerung im Einklang sehen.

Wie sieht es in Bezug auf Institutionen aus? Also wir haben jetzt in Europa zum Beispiel eine Europäische Zentralbank, einen Europäischen Gerichtshof, aber wir haben keine europäische Eisenbahn, kein europäisches Wohnen. Was kann man da vielleicht machen?

Günther Hopfgartner: Das ist natürlich auch gewollt so. Es ist in der Konstruktion der EU schon so verankert, dass bestimmte Bereiche auf die europäische Ebene abgegeben werden. Geldpolitik zum Beispiel mit der EZB. Und bestimmte Bereiche bleiben national verankert, wie Steuerpolitik. Der einzige Sinn und Zweck davon, dass es keine einheitliche Steuerpolitik für die EU gibt, ist es, Steuerflucht zu ermöglichen.

Man sagt dann natürlich, das ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten relevant, weil sie dadurch Unternehmen mit einer niedrigen Steuerpolitik anziehen können. Aber diese Argumentation zeigt, wie neoliberal die EU verfasst ist, weil natürlich der Wettbewerb, die Konkurrenz, immer über der Solidarität steht. Wenn man über Europa spricht, muss man immer darüber diskutieren, dass man dieses Konkurrenzprinzip durchbrechen und Solidarität darüber stellen muss. Also tatsächlich eine solidarische Politik zu entwickeln und diese nicht selektiv als Sonntagsrede und Propaganda-Instrument zu verwenden. Sowohl die nationale als auch die europäische Verfasstheit muss sich von einer Konkurrenzgemeinschaft zu einer Solidargemeinschaft ändern.

Gibt es noch irgendwas, was du den Leser:innen oder potenziellen Wähler:innen als Schlusswort sagen möchtest?

Günther Hopfgartner: Es ist üblicherweise so, dass die Europawahlen immer niedrigere Wahlbeteiligung haben als etwa die Nationalratswahlen. Ich verstehe auch dieses Gefühl, dass Europa oder Brüssel noch viel weiter weg sind als alles andere, als Wien oder sonst irgendwas. Es ist auch tatsächlich so, dass die Verfasstheit der europäischen Institutionen auch darauf abzielt, dass man nicht unmittelbar Einfluss nehmen kann. Dennoch ist das, was in Brüssel passiert, für unser Leben ganz wesentlich. Also man sollte sich da einschalten und mit der KPÖ steht tatsächlich eine Partei auf dem Stimmzettel, die gezeigt hat, wie man aus der Opposition heraus, in der Organisation der Interessen der Menschen, wirklich Politik machen kann. Und so kann man auch viel größere Institutionen beeinflussen und Diskurse verändern. Deswegen wäre es sehr, sehr wichtig, dass man erstens zur EU-Wahl geht und zweitens dort die Stimme für die KPÖ abgibt. Es ist nicht egal für das Leben der Menschen in Österreich, ob eine Nervensäge aus der KPÖ im EU-Parlament sitzt oder nicht.

Das Interview wurde erstmals in der Volksstimme, Nr. 5/2024 veröffentlicht.

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