Heimo Halbrainer: Brillianter Rhetoriker, vielseitiger Intellektueller – 125 Jahre Ernst Fischer

Als erster Kulturstaatssekretär nach 1945, langjähriger KPÖ-Abgeordneter im Nationalrat und führender marxistischer Kulturtheoretiker ist Ernst Fischer in die Geschichte eingegangen. Im Juli hat sich sein Geburtstag zum 125. Mal gejährt. Der Grazer Clio-Verlag hat nun sein bisher unveröffentlichtes Romanfragment veröffentlicht. Aus diesem Anlass hat Rainer Hackauf dem Herausgeber Heimo Halbrainer einige Fragen gestellt.

In Böhmen geboren, wächst Ernst Fischer in Graz auf, nach dem Ersten Weltkrieg beginnt er hier auch zu studieren, beginnt hier politisch wie auch literarisch seine Karriere. Wie hat ihn seine Jugend in Graz geprägt?

Heimo Halbrainer: Ernst Fischer – wie auch seine Brüder Walter und Otto – wurden in Graz zum einen familiär durch das problematische Verhältnis des reaktionären Vaters, einem Berufsoffizier, zu seiner um 25 Jahre jüngeren, weltoffenen Frau und zum anderen durch den Krieg bzw. die politische und kulturelle Aufbruchstimmung nach dem Krieg in Graz geprägt. Dabei machte er den Sprung aus dem reaktionären Klima hin zur Sozialdemokratie und neuen Kunstformen. Er hat das einmal in seinem typischen Pathos so formuliert: „Wir verlorene Söhne des Bürgertums atmen tief und beglückt die starke, helle, ozonreiche Luft der Revolution. Das Erlebnis dieses tieferen Atemholens verbrüdert uns mit der Arbeiterschaft, die aus der würgenden Horizontlosigkeit finsterer Fabriken, aus der feuchten Umklammerung stinkender Kellerlöcher, aus brütenden Abgründen der Kulturlosigkeit in die feurige Atmosphäre getreten ist, in der es Zukunft, Schicksal, Geschichte gibt.“ Er und seinesgleichen hätten nun die Aufgabe, „der Arbeiterschaft alle Illusionen über den Gegner zu nehmen und ihr das gefährliche Wissen um die Gesellschaft zu geben, der sie entsprungen sind“.

Das nun veröffentlichte Romanfragment mit dem Titel »So kann man nicht leben!« reiht sich in die frühe Schaffensperiode Ernst Fischers ein. Als Kulturtheoretiker ist Fischer vielleicht noch bekannt, als Autor von Romanen, Gedichten oder Bühnenstücken weniger. Welchen Stellenwert hatte die schriftstellerische Tätigkeit für Ernst Fischer selbst? Wie ist diese einzuordnen?

Heimo Halbrainer: Fischer hat – vor allem in den 1920er Jahren – seiner schriftstellerischen Tätigkeit sicherlich große Bedeutung zugemessen. Er ist ja schon mit 20 literarisch hervorgetreten, zunächst mit einem Gedichtband, dann bald mit Theaterstücken, die sowohl am Wiener Burgtheater als auch auf der Arbeiterbühne aufgeführt wurden. Daher er war damals als junger linker Autor am Puls der Zeit und mit Blick auf die konservative, deutschnationale Literatur in der Steiermark fast ein Solitär. Sein Anti-Tito Stück »Der große Verrat« aus dem Jahr 1950 – eigentlich eine Literarisierung von Parteipropaganda – dürfte ihm später sicher peinlich gewesen sein.

Bis 1934 arbeitet Fischer für die Arbeiter-Zeitung, veröffentlicht dort Beiträge von Jura Soyfer oder Fritz Brainin. Er gilt auch als Führer der parteiinternen Linksopposition in der sozialdemokratischen Partei. Nach den Februarkämpfen wird Fischer Mitglied in der KPÖ. Dort macht er schnell Karriere. Wie kann man sich das erklären? Welche Rolle spielte Fischer in dieser Zeit?

Heimo Halbrainer: Ernst Fischer wurde Anfang der 1930er Jahre innerhalb der sozialistischen Jungfront, in der die zwanzig- bis dreißigjährigen sozialdemokratischen Parteimitglieder erfasst wurden, aktiv. Für sie schrieb er 1931 mit seiner Schrift »Krise der Jugend« quasi das inoffizielle Manifest, das auch die offizielle Parteilinie und die demokratischen Illusionen der Parteiführung kritisierte. Diese Jungfront trat unter anderem für ein aktives Vorgehen gegen den drohenden Faschismus sowie ein Aktionsbündnis mit den Kommunisten ein. Das Versagen der Parteiführung auf dem Weg in den Februar 1934 führte dann schließlich zur KPÖ, wo er – wie auch viele andere aus der Jungfront – bald in führende Funktionen kam.

1945 ist Fischer in der Provisorischen Regierung Renner Kulturstaatssekretär, bis 1959 – also dem Ausscheiden der KPÖ aus dem Nationalrat – ist er Abgeordneter der KPÖ. Was ist von dieser Arbeit geblieben?

Heimo Halbrainer: Nach der kurzen Phase, in der Fischer Staatssekretär war, bzw. die KPÖ bis 1947 in der Regierung vertreten war, folgten bis zum Ausscheiden aus dem Nationalrat 1959 Jahre der Opposition, wobei Fischer einer von nur vier bzw. fünf Abgeordneten war. D.h. die Möglichkeiten innerhalb der parlamentarischen Tätigkeit Politik zu gestalten, war bescheiden. Fischer als Abgeordneter war allerdings – wie berichtet wurde – ein wortgewaltiger Redner und angeblich der beste Rhetoriker, den das österreichische Parlament nach 1945 gesehen hat.

1969 wird Fischer aus der KPÖ ausgeschlossen. Dem ging schon ein längerer Entfremdungsprozess zwischen der Partei und ihm selbst voraus. Was hat den Stalinisten Fischer zum Eurokommunisten, also einem undogmatischen Marxisten gemacht?

Heimo Halbrainer: Nach dem Ausscheiden der KPÖ aus dem Nationalrat sowie aufgrund verschiedener politischen Entwicklungen Anfang der 60er Jahre musste die KPÖ einen Weg finden, wie es weitergehen sollte – mit ihr, aber auch mit Österreich. In diesem Diskussionsprozess hat sich Ernst Fischer mit einem Beitrag mit dem Titel »Marxismus und Ideologie« eingebracht, der – verkürzt gesagt – den Marxismus nicht mehr als starre Ideologie sehen wollte. Die Diskussion in der weiteren Folge, aber auch Fischers führende Rolle und Position bei der Kafka-Konferenz sowie der »Prager Frühling« führten zu einer Entfremdung von und letztlich zum Bruch mit der Parteiführung, wobei diesen Bruch nicht er alleine vollzog.

Zu der Zeit ist Fischer als marxistischer Intellektueller und Kulturtheoretiker weit über die Grenzen Österreichs bekannt, wie auch die Übersetzungen mancher seiner Publikationen ins Englische zeigen. Welche Bedeutung hatte Fischer zu seinen Lebzeiten?

Heimo Halbrainer: Viele seiner Schriften gehörten damals zu den wichtigsten kulturtheoretischen wie auch literaturwissenschaftlichen Beiträgen, die aus Österreich kamen. Im Land selbst wurden sie – da von einem Kommunisten stammend – jedoch nur bedingt wahrgenommen. So wurde etwa sein Buch »Von der Notwendigkeit der Kunst« ins Englische übersetzt, in Österreich ist es aber nicht erschienen. Diese Schriften sind jedoch international wahrgenommen worden – und nachdem er mit der KPÖ gebrochen hatte – kurzzeitig dann auch in Österreich, vor allem seine beiden Erinnerungsbände. Sein literarisches Schaffen ist allerdings in all den Jahren kaum thematisiert worden.

Ernst Fischers Geburtstag jährt sich heuer zum 125. Mal. Warum soll man sich heute mit ihm beschäftigen? Was bleibt?

Heimo Halbrainer: Seine kulturtheoretischen Schriften sind nach wie vor lesens- und diskussionswert. So hat beispielsweise vor einigen Jahren die irische Intendantin eines Kunstvereins in Graz aufgrund der Bedeutung Fischers Schrift „Von der Notwendigkeit der Kunst“ gemeinsam mit uns eine Konferenz zu Fischers kulturpolitischen Positionen organisiert. Und der Aachener Germanist Jürgen Egyptien, der auch das Nachwort zum Roman verfasst hat, zählt ihn zu den vielseitigsten und faszinierendsten österreichischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Dass wir uns heute mit ihm beschäftigen und anlässlich seines 125. Geburtstags seinen unveröffentlichten und verschollen geglaubten Roman nun herausgeben, hat aber seinen Grund auch darin, wieder an ihn zu erinnern und ihn auch als vergessenen steirischen Autor vorzustellen, der mit dem Roman u.a. einen tiefen Einblick in das Graz der 1920er Jahre gibt.

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