WAHLEN | EU-WAHLEN 2024

Martin Konecny: Warum die EU nicht zu retten und ein Austritt keine Lösung ist

»Aktuell geht es darum, durch Mobilisierung, Streiks und Ungehorsam, Handlungsspielräume in der EU zu erhalten und auszuweiten«, meint Martin Konecny im Interview. Er kandidiert bei den kommenden EU-Wahlen für die KPÖ. Die Fragen hat Rainer Hackauf gestellt.

Du kandidierst auf Listenplatz 3 der KPÖ bei den EU-Wahlen. Vorausgesetzt du wirst gewählt, was würdest du im EU-Parlament anders machen?

Martin Konecny: Man darf sich keine Illusionen darüber machen, dass man als Mandatar:in im EU-Parlament die Europäische Union grundlegend verändern kann. Das liegt schon daran, dass das Parlament in seinen Rechten massiv beschnitten ist. So fehlt dem EU-Parlament selbst die Möglichkeit, eigene Gesetzesinitiativen einzubringen. Was aber sehr wohl möglich ist, ist den Herrschenden genau auf die Finger zu schauen. Aufzuzeigen, wie schamlos die Konzerne und ihre Lobbyist:innen ihre Interessen durchzusetzen vermögen. Und natürlich kann man da und dort versuchen, Sand ins Getriebe des autoritären und neoliberalen Umbaus unserer Gesellschaft zu säen. Dazu braucht es natürlich auch das Bündnis mit den Menschen, die außerhalb der Institutionen kämpfen. In der Vergangenheit ist es so etwa gelungen, die neoliberale Handelsagenda der EU weitgehend zu lähmen.

Du setzt dich schon lange mit der Politik der EU auseinander. Wie demokratisch sind die EU und ihre Institutionen eigentlich?

Martin Konecny: Schon rein formal gibt es ein großes Demokratiedefizit auf EU-Ebene, wie etwa die bereits erwähnte Beschränkung der Rechte des EU-Parlaments zeigt. Das kommt nicht von ungefähr. Die Art und Weise wie die EU rechtlich und praktisch funktioniert ist das Ergebnis von Klassenkämpfen. Konzerne und Finanzmarktakteure haben die EU seit den 1980er Jahren gezielt genutzt, um ihre Interessen gegenüber dem Zugriff von demokratischen Mehrheitsentscheidungen auf lokaler und nationaler Ebene abzusichern. Die Regeln des Binnenmarktes, die Budgetvorgaben innerhalb der Eurozone, die Unabhängigkeit der Zentralbank – sie dienen alle dazu, hinter vermeintlich demokratischen Regeln, Konzerninteressen abzusichern. Den Energiesektor regulieren und vergesellschaften, das geht dann leider nicht, wegen dem europäischen Strommarkt; den öffentlichen Verkehr auch wirklich öffentlich zu gestalten, das darf nicht sein, weil es gegen das Wettbewerbsrecht verstößt; Investitionen in Klimaschutz, Wohnen und Pflege unmöglich, weil man sonst gegen die Haushaltsvorgaben der EU verstoßen würde. Dabei können sich nationale Regierungen, die diese Dinge ja alle auf EU-Ebene mit beschließen, wunderbar auf “DIE EU” ausreden. Erst wenn es zur Krise kommt, wird dies Funktionsweise in ihrer ganzen Brutalität sichtbar. Das war etwa 2015 so, als Griechenland unter Syriza versuchte, die aufgezwungene Kürzungspolitik zu beenden. Dieses Experiment wurde mittels ökonomischem und politischem Druck einfach erstickt.

Österreich wurde im Zuge des EU-Beitritts zugesichert, dass unsere Neutralität erhalten bleiben kann. Nun heißt es aber beim Kauf von Waffensystemen wie Skyshield, der neuen EU-Armee Pesco oder auch Waffenlieferungen, “mitgehangen, mitgefangen”. Ist unsere Neutralität mit der EU vereinbar? Wie groß ist der Spielraum Österreichs?

Martin Konecny: Österreich ist mit Irland und Malta mittlerweile eines der letzten noch formal neutralen Länder innerhalb der EU. Bestrebungen, die EU auch zu einem militärischen und geopolitischen Player zu machen, sind nicht neu. Durch die Zuspitzung der inner-imperialistischen Widersprüche infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine haben sie neuen Auftrieb erhalten. Die militärische Unterstützung der Ukraine durch die zynisch genannte “Europäische Friedensfazilität”, widerspricht natürlich grundlegend der Neutralität. Klar ist aber auch, bisher müssen solche Beschlüsse einstimmig getroffen werden. Es war also unsere Schwarz-Grüne Bundesregierung die dem zugestimmt hat. Dasselbe gilt für Skyshield, das noch nicht einmal formell eine EU-Initiative ist. Es ist also die bewusste Entscheidung der österreichischen Bundesregierung, sich so an einer Militarisierung zu beteiligen. Zentral wird es sein, den Versuch zu verhindern, die Einstimmigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik abzuschaffen. Dann würde es tatsächlich gar keinen Spielraum mehr für eine eigenständige Neutralitätspolitik geben.

Die einen loben die EU als Friedensprojekt, als KPÖ kritisieren wir aber Militarisierung und einseitige Handelspolitik. Wie imperialistisch ist die EU?

Martin Konecny: Die EU war von Anfang an ein Zusammenschluss imperialistischer Mächte, allen voran Frankreichs und Deutschlands. Historisch ist es natürlich ein Fortschritt, dass es zwischen diesen Mächten keinen Krieg mehr gibt. Aber zugleich hat das “Friedensprojekt EU” Frankreich etwa nicht davon abgehalten, gerade am Beginn der europäischen Integration einen blutigen Kolonialkrieg in Algerien zu führen. Und es hält die EU auch heute nicht davon ab, an ihren Außengrenzen ein blutiges Grenzregime aufzubauen.
Die imperialistische Dimension der EU gilt sowohl nach innen wie nach außen. Nach innen existiert in der EU bis heute eine Spaltung in Zentrum und Peripherie. Die südeuropäischen Länder haben lange die Rolle gespielt, Überschüsse aus den Zentren, insbesondere aus Deutschland, aufzufangen, während der Osten als Reservoir für billige Arbeitskräfte dient. Die herrschende Form der Europäischen Integration trägt eben nicht dazu bei, diese Unterschiede anzugleichen, sondern stellt sie auf Dauer. Und auch nach außen hat die Handels- und Investitionspolitik der EU bisher den Zweck erfüllt, ungleiche Handelsbeziehungen mit den Ländern des globalen Südens abzusichern. EU-Länder exportieren Produkte mit hoher Wertschöpfung, während umgekehrt aus Ländern in Afrika oder Lateinamerika unverarbeitete Bodenschätze und landwirtschaftliche Produkte importiert werden. Das verhindert die Entwicklung dieser Länder und lagert zudem die ökologischen Folgen auf diese Länder aus. Was jetzt noch zusätzlich kommt, ist die Militarisierung. Angesichts der innerimperialistischen Spannungen setzen die Herrschenden darauf, die EU auch geopolitisch zu einer Macht auszubauen.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat lesenswerte FAQs zu den EU-Institutionen herausgebracht. Du hast da mitgeschrieben. Was kann man noch tun, außer seine Stimme am 9. Juni abzugeben, um die EU zu verändern?

Martin Konecny: Natürlich ist es sehr wichtig, dass eine starke KPÖ und eine starke Linke in den Institutionen präsent ist, aber einen grundlegenden Wandel werden wir nicht im Parlament anstoßen. Dafür braucht es Kämpfe und Brüche außerhalb der Institutionen. Angesichts der Verfasstheit der EU geht es leider sehr oft darum, Schlimmeres zu verhindern und Handlungsräume für Politik im Interesse der breiten Mehrheit zu bewahren. Das kann durchaus gelingen. Eine Vielzahl von Handelsverträgen, konnte etwa durch breite Bündnisse aus linken Parteien und fortschrittlichen sozialen Bewegungen verhindert werden – zuletzt etwa das EU-Mercosur abkommen. Ein anderes Beispiel ist die Verhinderung der Liberalisierung der europäischen Häfen Mitte der 2000er Jahre durch eine transnationale Streikbewegung. So notwendig eine grundlegende Reform der EU und ihrer Verträge ist, geht es aktuell darum, durch Mobilisierung, Streiks und auch strategischen Ungehorsam, Handlungsspielräume zu erhalten und auszuweiten.

Veranstaltungshinweise

Unter dem Titel »Warum die EU nicht zu retten ist« gibt es am 24./25.5. in Salzburg (19.00 Uhr, Volksheim, Elisabethstraße 11) und am 28.5. in Wien (18.30 Uhr, Drechslergasse 42, 1140 Wien) Veranstaltungen mit Martin Konecny zu einer linken EU-Kritik.

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Martin Konecny

Martin Konecny ist Bildungsreferent der KPÖ. Er hat jahrelang für das zivilgesellschaftliche Netzwerk „Seattle to Brussels“ zu europäischer Handelspolitik gearbeitet. Er hat u.a. am Buch »Entzauberte Union. Warum die EU nicht zu retten und ein Austritt keine Lösung ist« mitgearbeitet. Bei den kommenden EU-Wahlen kandidiert er auf Listenplatz drei der KPÖ. Kontakt: martin.konecny@kpoe.at

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